Akt 2 – Nazars Version
Nazar betritt weinend den Thronsaal. Den Schreck und die Angst um den Verlust Darians ins Gesicht geschrieben, fleht er seinen Vater an Soldaten auszusenden, um nach seinem entführten Bruder zu suchen. Als Nazar dem Kaiser Darians Holzschwert überreicht, schreckt der alte Herr von seinem Thron auf. Er versucht Nazar mit wohlwollenden Floskeln zu beruhigen. Doch noch während er zum Ruf nach seinem Heerführer ansetzt, betritt Karda den Raum und hält ihrem Mann in einer besänftigenden Geste ihren Zeigefinger vor den Mund. Sie hält ein beschriebenes Pergamentblatt in den Händen: „Halte ein! Sieh her, was unsere zuverlässigsten Boten in Erfahrung gebracht haben: Das hier sind Anweisungen, den jungen Prinzen Akaroas zu entführen, um die Herrschaft der Blaublütigen zu beenden. Das Ziel wäre an einem dunkelblauen, kaiserlerichen Samtgewand zu erkennen, das er stets trage. Unterzeichnet wurde die Botschaft von jemandem, der sich als Der Prinz aus dem Volk bezeichnet.”.
Der Kaiser sackt zusammen. Es scheint, als hätte diese Botschaft allen Lebenswillen aus ihm getrieben. Sein Gesichtsausdruck ist von Enttäuschung und Schuld geprägt. Er fasst sich mit seiner rechten Hand ans Herz. Ein Paar letzte Tränen rinnen über sein faltiges Gesicht. Leise flüstert er: „Weshalb nur Darian…weshalb?”. Dann stirbt der Kaiser. Nazars Miene verdunkelt sich schlagartig. Er hebt den Kopf etwas an. Sein Blick ist wutgetränkt. Er greift nach dem Schwert seines verstorbenen Vaters und rammt es mit aller Kraft und mit einem mächtigen, wütenden Schrei in das Wappen im Boden des Thronsaals. Als Nazar den Griff langsam loslässt bleibt das Schwert unverändert im Boden stecken. Nazar hebt seinen Kopf in Richtung seiner Mutter und flüstert ihr mit hasserfüllter Stimme ins Ohr: „Es wird nie wieder Jemand wagen uns zu verraten!“.
Sechs Jahre Später:
Nazar hat die Thronfolge angetreten und sitzt selbstgefällig auf dem steinernen Thron im Herzen des Kaiserdoms. Er trägt ein schwarzes, leicht rötlich schimmerndes Magiergewand, das bis auf den Boden reicht. Um ihn herum stehen mehrere Dienerinnen, die Nazar allerhand Köstlichkeiten anbieten. Kaans Schwert steckt immer noch an derselben Stelle, an der es vor sechs Jahren in den Steinboden gerammt wurde. Nur die Inschrift des Siegels ist eine Andere:
„Im Auge des Bewahrers soll verbrennen was unduldsam ist, erhängt werden wer ungerecht ist und verfolgt werden, wer unehrlich ist. Möge der Bewahrer alle Mittel adeln, die ein gerechtes Akaroa geloben.“.
Akt 2 – Darians Version
Darian wacht gefesselt in einer kleinen Höhle auf. Eine mit Ketten gesicherte und aus allerhand Holzstücken improvisierte Holztür verhindert seine Flucht. Im Hintergrund sind drei bis vier rauchige Männerstimmen zu hören, die sich beim Kartenspielen gegenseitig des Betrugs beschuldigen. Der Boden des Verließes ist mit ein wenig Stroh ausgelegt. Ein Paar Knochen liegen verstreut herum. Eine nahezu abgebrannte Kerze ist die einzige Lichtquelle in der ansonsten düsteren, nasskalten Höhle. Ihre flackernde Flamme scheint auf ein Flugblatt, dass an die Steinwand genagelt ist. Bei näherem Hinsehen erkennt Darian, dass es ein Verkündungsblatt einer Zeitung ist. Große, fette Letter überschreiben es mit „Komplott um den Thron: Prinz Nazar auf Anheißen von Prinz Darian entführt!“. Als Darian die wenigen Zeilen, die von einem von ihm verfassten Auftragsbrief erzählen, liest, weicht er erschrocken zurück. Auch das blaue Gewand, das Darian noch immer trägt, wird in dem Artikel erwähnt. Sofort greift Darian an seine Kleidung. Sein Blick verdunkelt sich, als er leise den Namen seiner Stiefmutter murmelt: „Karda!…”.
Plötzlich wiehern Pferde aufgeregt. Aus der selben Richtung sind mehrere schmierige Männerstimmen zu hören. Die Banditen am Tisch werfen ihre Spielkarten aus den Händen und greifen nach ihren rostigen Schwertern. Eine tiefe, dominante Männerstimme schreitet ein und bietet der Abwehrhaltung der Kartenspieler Einhalt. Darian rückt ganz nah an die Holztür seines Verließes und lukt durch einen kleinen Schlitz. Der Schein einer Öllampe fällt auf die sich nährenden Männer. Darian sieht wie ein großgewachsener, stark behaarter Bandit unbehelligt an dem Tisch der Kartenspieler vorbei geht. Eines seiner Augen ist durch eine Augenklappe verdeckt. Seine Lederrüstung sieht mitgenommen aus. Bei jedem Schritt quietscht und knarzt sie etwas. Fünf deutlich kleinere, glatzköpfige Männer folgen dem Banditen. Sie tragen nur eine Art Lendenschurz. Einige von Ihnen haben kleine Stöckchen durch ihre Lippen gestochen. Andere widerum Metallringe durch Brust und Arme. Ihre Haut ist mit merkwürdigen Malereien verziert. Die Gruppe erreicht Darians Verließt.
Kurz bevor der großgewachsene Bandit die Holztür von ihren Ketten befreit, huscht Darian weg vom Guckloch – in die hinterste Ecke der kleinen Höhle. Zwischen dem Rascheln der Türketten kann Darian noch einmal seine Stimme hören: „Das wird euch…schm…na sagen wir gefallen! Wir wollen ja nicht, dass der Kleine vor Schreck ganz zäh wird, nicht wahr? Hahaha!“.
Die Tür wird langsam geöffnet. Darian sitzt noch immer zusammengekauert in der dunklen Ecke. Je weiter die kleine Holztür aufgeschoben wird, umso mehr wird der Blick auf die ungepflegten, leicht sabbernden Gesichter der fünf Glatzköpfe frei.
Sie sehen Darian voller Vorfreude ins Gesicht. Das Licht aus dem Vorraum fällt durch die nun vollends geöffnete Tür auf Darian. Der Bandit streckt ihm stolz beide Hände präsentierend entgegen: „Da isser, euer Blaublütiger!“. Einer der Glatzköpfe fängt an aufgeregt zu husten. Zwei Andere brechen in erregtes Getuschel aus. „Ruhe! Ihr Gesichtsmakrelen!“ ruft der vorderste der Glatzköpfe dazwischen und zückt einen kleinen, angespitzten Holzspieß. Dann geht er vorsichtig auf Darian zu. Die linke Hand hält er schützend vor den Körper. In der Rechten hält er das Holzstück wie eine Waffe, mit der er bereit ist zuzustechen. Darian hockt leicht zitternd in der Ecke. Der Glatzkopf packt den Jungen an seinem linken Arm und sticht die Spitze des Hölzchens ganz kurz in die Schulter. Den winzigen Tropfen Blut, der nun an der Spitze des Holzes klebt, leckt der Glatzköpfige mit seiner Zunge ab. Sofort wendet er seinen Blick dem Rest der Gruppe zu. Seine Mimik verrät, dass etwas nicht stimmt.
„Wüüä! Das ist kein blaues Blut! Nicht ein Tropfen Magie fließt durch diese Adern! Selbst ein nutzloser Dieb wie du kann doch nicht versumpft genug sein, um die Geschmacksnerven unserer kannibalischen Bruderschaft in Frage zu stellen!“, schimpft der Glatzkopf in Richtung des Banditen los. Der Rest der Gruppe wirkt nicht minder unentspannt. Der Bandit versucht sich händeringend zu rechtfertigen. Mit vor sich zusammengefalteten, bettelnden Händen erklärt er, dass er nicht wisse was geschehen sei. Schließlich habe der Junge doch das im Brief beschriebene kaiserliche Gewand getragen. Einer der Kannibalen prustet sich schnaufend vor ihm auf. Die Wachen der Banditen ziehen ihre Schwerter und halten sie zitternd in einer verteidigenden Pose vor ihre schlaksigen Körper. Ein Kannibale springt schnaufend aus dem Hintergrund hervor und schlägt dem Banditen mit bloßer Faust ins Gesicht. Es bricht sofort Chaos aus. Gegenstände fliegen durch die Höhle. Die Öllampe reißt aus ihrer Verankerung und steckt das trockene Stroh auf dem Boden in Flammen. Der Tisch der Kartenspieler bricht in zwei, als ein Kannibale auf ihn springt. Kriegsschreie und der unverwechselbare Klang von Banditenfleisch, das mit fester Überzeugung von Kannibalenfäusten getroffen wird, füllt jetzt die Höhle.
Darian springt auf. Er bleibt nur kurz in der Tür stehen und blickt sich um – dann rennt er los. Schwerthieben und Fäusten ausweichend rennt er so schnell er kann durch die Höhle, bis er ihren Ausgang erreicht. Niemand nimmt seine Flucht wahr. Die Geräusche des Kampfes werden mit jedem Meter, den Darian durch die glitschigen Felsgänge zurücklegt leiser. Er läuft an den Pferden vorbei, deren Hufgescharre er zuvor immer wieder gehört hatte. Nur kurze Zeit später erreicht er einen dichten Laubwald.
Es ist nur das Knistern seiner eigenen schnellen Schritte auf dem Waldboden zu hören. Plötzlich stolpert Darian über einen quer liegenden Ast und fällt mit seiner Schläfe auf einen Stein. Er ist sofort bewusstlos. Seine Kleidung ist zerrissen und voller Schlamm. Ein Jagdhorn ertönt. In der nächsten Sekunde wird Darian wie von Geisterhand in einem Netz in die Luft gezogen. Nach und nach springen gut getarnte Personen aus dem Unterholz auf den Waldweg. Zunächst ein Paar wenige – dann immer mehr, bis es schließlich gut ein Dutzend mit Bögen und Armbrüsten bewaffnete Männer und Frauen sind. Ihre Gesichter sind mit Schlamm maskiert. Die Menschen kommunizieren zunächst nur mit merkwürdigen Geräuschen, wie sie auch von Vögeln und anderen Waldbewohnern stammen könnten. Ihre Körper haben sie in Lederrüstungen, Bärenfelle und Pflanzenresten gehüllt.
Eine junge Frau macht vorsichtig ein Paar Schritte aus der Gruppe nach vorne. Ihren Bogen hält sie gespannt in ihren Händen. Sie lässt Darian nicht aus den Augen: „Es ist nur ein Junge!“, ruft die Frau dem Rest der Gruppe zu. „Bist du sicher, dass er kein Zwerg ist?“, pöbelt ein Anderer – „Das würde ich riechen! Es ist nur ein kleiner Bengel. Nicht mal was‘ Wertvolles hat er dabei…mit Dem können wir Nichts anfangen.“ erklärt die junge Frau und macht wieder ein Paar Schritte zurück. Dann richtet sie ihren Bogen auf Darian. Die restlichen Jägerinnen und Jäger tun es ihr gleich. Plötzlich reißt die junge Jägerin ihren linken Arm in den Himmel: „Halt! Keiner schießt!“. Erneut geht sie einige vorsichtige Schritte auf Darian zu und mustert ihn neugierig. Sie senkt ihren Arm langsam und befiehlt, den Jungen herabzulassen. Unter all dem Dreck habe sie erkannt, dass er das kaiserliche Wappen auf seinen zerfetzten Kleidern trage, erklärt sie und fügt an, dass man mit ihm den Schlüssel in die Schatzkammer des Kaiserdoms gefunden hätte. Dann wird Darian auf den Schultern der Jäger tiefer in den Wald getragen.
Als Darian wieder zu sich kommt, liegt er auf einem improvisierten Feldbett. Es sind nur ein Paar Hölzer und Pflanzenfasern, die zwischen zwei riesigen Weiden aufgehängt wurden. Ihre langen Äste und ihr üppiges Blattwerk reichen bis auf den Boden und sehen dadurch aus wie eine Art Vorhang. Darian ist nur mit einem Lendenschurz aus hellem Stoff bekleidet. Eine weibliche Hand streicht mit einem feuchten Lappen über seine Stirn. Sie gehört der jungen Jägerin, der Darian sein Leben verdankt. Die junge Frau ist über sein Bett gebeugt. Sie trägt eine aus mehreren Holzstückchen geknüpfte Kette um ihren Hals, auf der ein Spruch eingeschnitzt ist: „Hass ist der Samen der Dunkelheit – Freude das Licht am Horizont. Für Joy.“. Das Mädchen streicht Darian erneut über die Stirn. Er greift nach ihrer Hand. Das Mädchen zuckt leicht erschrocken und schaut Darian mit einem erwartungsvollen und leicht irritierten Blick in die Augen. „Ich muss zugeben – das Licht am Horizont ist ganz nett, aber was ich gerade sehe macht mir fast noch mehr Freude.“ flüstert Darian mit verschmitztem Lächeln. Joy zieht ihre Hand weg, versteckt ihre Kette unter ihrem weißen, seidenen Kleid, steht auf und dreht sich von Darian weg. „Das ist alles, was du jemals zu sehen bekommen wirst, Prinz. Bilde dir bloß nicht zu viel ein – ich habe nur getan, was nötig war. Zieh‘ dir was an – Lynn möchte dich sprechen. Ich habe dir ein Paar Sachen neben das Bett gelegt.“ antwortet die junge Frau. Dann wirft sie Darian noch ein freches Lächeln über die Schulter zu und verschwindet durch das Blattwerk der großen Weiden.
Als Darian die für ihn bereitgelegten Kleidungsstücke betrachtet schmunzelt er und nimmt sich lediglich eine dunkelbraune, etwas mitgenommene Lederhose. Das mit bunten Federn verzierte grüne Stoffhemd lässt er genauso liegen, wie die aus Blättern geflochtenen Stiefel. Dann verlässt auch er seinen Schlafplatz durch den Blättervorhang. Joy wartet bereits auf ihn. Sie mustert ihn kritisch, und ergänzt ihren sarkastischen Blick durch ein verschmitztes, kurzes: „hmm.“. „Was?“, fragt Darian provokant und fügt an, dass das hübsche Federkleid zu klein gewesen sei. Joy lacht: „Männer bedecken einfach gerne nur die Dinge, für die sie sich schämen. Komm du Held, ich bringe dich zu Lynn.“. Darian folgt Joy sprachlos durch das Lager der Jäger. Es ist auf einer Lichtung im Wald errichtet. Mehrere Zelte reihen sich um eine Feuerstelle. Ihre Stoffhaut sieht aus, als wäre sie aus mehreren Flicken zusammengenäht. Nur Eines sticht hervor. Es ist viel sauberer als die Anderen und hat eine grelle, gelbe Farbe. Dieses Zelt ist auch das Ziel von Joy und Darian. Schon von weitem ist zu sehen, dass eine ältere, weibliche Person davor steht. Sie trägt ein hellgraues Wolfsfell und hält einen merkwürdig krumm geformten Stock in ihren Händen.
Am Zelt angekommen, bleibt Joy in ehrfürchtigem Abstand vor dem Eingang stehen. Als Darian an ihr vorbei – und auf die ältere Dame zugeht, hält Joy ihn an seiner Schulter fest. und verbeugt sich. Erst danach schubst sie Darian einen Schritt nach vorne und geht zurück zur Feuerstelle.
Die Dame stellt sich ihrem Gast als “Die Älteste Lynn” vor und bittet ihn in ihr Zelt. Dort
bekommt Darian ein Glas Grastee serviert, den er mit verzogenem Gesicht und einem
gezwungenen Lächeln herunter würgt. Die Älteste erklärt Darian, dass das Volk der Jägerinnen ihn solange als ehrenwerten Gast behandeln würden, wie er ihnen durch sein Wissen über die Verteidigung des kaiserlichen Palastes von Nutzen ist. Darian erklärt widerum sein eigenes Interesse daran in den Kaiserdom einzudringen, um seinem Bruder im Geiste, Nazar, die Wahrheit über seine Mutter und die dunkle Vergangenheit ans Licht zu bringen. Die alte Dame schaut ihrem Gast für einige wenige Sekunden tief in die Augen. Dann nickt sie und merkt an, dass ihre Tochter Joy am Kampfzirkel auf ihn warten würde: „Du wirst ihrem Worte lauschen, wie ein Schüler seinem Meister.“.
Daraufhin verlässt Darian das Zelt der Ältesten und begibt sich zum Kampfzirkel, der sich am anderen Ende des Lagers befindet. Er findet Joy in einem Erdkrater, der von den Jägern als Arena verwendet wird. Gerade köpft sie eine Strohpuppe mit einem gezielten Hieb ihres Schwertes. Darian beobachtet Joy unbemerkt einige Minuten lang, bevor er sich zu ihr in den Krater stellt: „Und ich dachte ich müsste mich nur vor deiner scharfen Zunge in Acht nehmen.“ bemerkt Darian frech. „Pass auf, dass ich deine nicht Spalte, mein lieber Prinz.“ schmunzelt Joy und wirft Darian ein Schwert zu. Sie erklärt, dass sie als Kind mit ihrem Vater geübt hat, aber die Wege der Jägerinnen verbieten, dass Frauen mit Klingenwaffen kämpfen. Es sei der Wille der Ältesten, dass der Stamm durch Darian von Joys Künsten profitieren soll.
Mehrere Wochen und Monate trainieren Joy und Darian konzentriert gemeinsam den Schwertkampf – sowohl mit einem, als auch mit zwei Schwertern. Eines Tages sind seine Bewegungen im Kampf geschickt, flink und variantenreich genug, um Joy zu Boden zu werfen. In diesem Moment sieht Joy Darian mit stolzem Blick an und nickt. „Du bist bereit.“, flüstert sie ihm zu und streicht ihm dabei liebevoll über die Brust.
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