Philipp lächelte freundlich während ich in Richtung Tresen schlenderte. „Guten Morgen Ben, wie kann ich dir helfen?“ Gut. Wenn Philipp gut gelaunt ist, würde das die Sache enorm vereinfachen. Ich erwiderte das Lächeln: „Eine große Packung Antibiotika bitte.“ Er wirkte besorgt. „Oh, bist du krank?“ .. „Nein, alles gut.“ antwortete ich. „Katy geht es nicht gut. Sie hat Fiber.“ Philipp kramte seine Lesebrille aus seinem Mäntelchen und drehte sich in Richtung des großen Medizinschrankes hinter dem Tresen. „Oh nein, die Arme. Gib‘ mir eine Sekunde, ich suche dir direkt das Richtige raus.“
Es dauerte nur ein Paar Minuten bis Philipp unter den tausenden kleinen Gläschen und Döschen das Richtige Mittel ausfindig gemacht hatte und sich wieder zu mir umdrehte. Die kleinen roten Pillen in der Packung wirkten dabei fast ein wenig so, als gehörten sie nicht in diese ansonsten durch das grell-weiße Apothekenlicht seltsam steril wirkende Umgebung. „Das macht dann 0,2 Einheiten. Zahlst du mit Blood-Pack oder bar von der Vene?“ .. „Vene bitte, ich habe die letzten Blood-Packs schon vor Wochen aufgebraucht.“ erwiderte ich. Philipp runzelte die Stirn, während er mich mit einem despektierlichen Blick von oben nach unten musterte. Nun bin ich in guten Zeiten kein wohlhabender Mann und diese Zeiten sind weit davon entfernt gut zu sein. Ich hatte mich etwas übernommen, viel zu wenig geschlafen und musste mit meiner bleichen Haut und tiefen Säcken unter den Augen wie eine wandelnde Leiche auf Philipp wirken.
„Ben, wie viele Einheiten hast du noch?“ murmelte er mir zu. „Neun.“ sagte ich mit gesenkter Stimme. Philipps Sorgenfalten versteinerten sich als er mich für einen unangenehm langen Moment anstarrte. „In Ordnung“ fuhr er mit einem zögerlichen Schulterzucken fort. Dann griff er nach der Spritze unter dem Tresen. „Dann zeig mir mal deinen Arm bitte.“ In einer Bewegung, die kaum eine bessere Metapher für meine derzeitige Situation sein könnte krämpelte ich den rechten Ärmel hoch und verfluchte mich direkt dafür, nicht den Linken genommen zu haben. Als Philipp die zahllosen, vielsagenden und teils kaum verheilten Einstiche in meinen Armen sah, fror seine Mine kurzzeitig ein. „Ben, … Ich…Es tut mir Leid, Ich kann dir Nichts abnehmen wenn deine Arme so aussehen. Nicht ohne einen Level-Test.“
Der Level-Test ist eine der hervorragenden Ideen des Overlords – ein als gesundheitlicher Service getarntes Werkzeug um sicherzustellen, dass sich seine wertvollen Arbeitstiere nicht versehentlich trocken-bluten würden. Die Prozedur ist genauso angenehm wie es sich anhört und war gerade mein schlimmster Albtraum. Und mein persönlicher Lügendetektor.
Ruckartig zog ich meinen Arm aus Phillips griff. „Ben, du weißt ich kann dich heute nicht bedienen, wenn du mich keinen Level-Test bei dir machen lässt. Ich muss checken, wie viele Einheiten du noch hast.“ Ich schaute mich kurz um, so unaffällig wie ich irgend konnte, um sicherzugehen, dass uns Niemand hören könnte. „Dann..lass mich das Fläschchen einfach so nehmen. Du hast mir doch letztens erst erzählt, dass ständig Ware verlorengeht.“ Philipp schüttelte den Kopf. „Ja, Süßigkeiten oder Beef Jerky, aber doch keine Medikamente! Ich verliere meinen Job wenn ich das mache. Nein, auf keinen Fall. Warum versuchst du es nicht bei einer anderen Apotheke? Vielleicht fragen die ja nicht nach einem Test.“
Es war kein besonders überzeugender Plan und das wusste Philipp auch. Unnachgiebig erwiderte ich, dass ich es schon überall probiert hatte. „Es tut mir Leid, Ich wollte dich nicht in diese Situation bringen, aber ich habe keine Wahl! Bitte, Philipp – du bist meine letzte Hoffnung. Und Katys! Bitte, wenn nicht für mich, dann tu es für sie!“ Philipp konnte mir nicht in die Augen sehen, als er ein letztes Mal, sichtlich geknickt murmelte „Es tut mir Leid, Ben. Ich kann einfach nicht. Wenn ich dein Level versehentlich unter die rote Linie fallen lasse und sie das herausfinden, ist mein Job mein kleinstes Problem. Die legen mich um! Du kennst das Gesetz.“
Ahh ja, die rote Linie – sechs Einheiten. Das absolute Minimum, das jeder von uns zurückhalten muss. Als Notreserve, damit den Overlords unter keinen Umständen wertvolle Arbeiter – und damit ihr Zugang zu Nahrung und Wohlstand versehentlich wegbluten können. Das ist das Einzige, worum die sich da oben in ihren Glaspalästen scheren und der einzige Grund, warum wir hier unten überhaupt noch am Leben sind. Wenn man es denn Leben nennen mag. Es ist ja nicht so, als würden die Overlords durch die Straßen ziehen und sich wahllos an den Venen irgendwelcher Passanten bedienen – zumindest nicht mehr. Dafür ist ihnen die Ruhe und das Gehorsam der Öffentlichkeit zu wichtig. Sie haben erkannt, dass sie das Fundament ihrer Macht und ihres Wohlstands bilden. Und Wohlstand sichert Ihnen widerum den Zugang zu frischem Blut. Und Blut? Blut ist mittlerweile das einzige erlaubte Zahlungsmittel in unserer verkommenen Gesellschaft. Versuche, auch nur einen Laib Brot mit etwas Anderem zu bezahlen, enden meist mit einer schnellen, öffentlichen Exekution. Wenn man Glück hat. Wer das Blut kontrolliert, kontrolliert die Welt. Doch das waren für mich gerade Nichts als unbedeutende Gedankenspiele über ein Schicksal, dem ich ohnehin nicht würde entkommen können.
Ich wurde lauter. Mittlerweile war es mir egal, ob mich irgendwer hören konnte. „Wirklich? Du hilfst mir also nicht!? Herrgott Philipp, du warst auf meiner Hochzeit! Du bist Katys Taufpate! Nicht mal für Sie würdest du es tun?“ – pfefferte ich meine Faust auf Philipps Tresen. „Sieh mich an, verdammt!“..“Ich kann nicht, Ben. Es…es tut mir Leid“ flüsterte er gebrochen, immer noch unfähig mir dabei auch nur kurz in die Augen zu sehen.
„Okay. Weißt du was? Fick dich!“ stürmte ich Richtung Ausgang.
„Warte.“ wedelte mir Philipp mit einer kleine Flasche Whisky hinterher, die er offenbar unter seinem Tresen versteckt hatte. „Gönn‘ dir wenigstens einen Drink – ich denke du brauchst ihn dringender als ich.“ – Typisch Philipp. Wenn es um seine Medikamente geht sind ihm die Regeln heilig, aber während der Arbeit trinken? Wortlos nahm ich die Flasche, stürmte aus dem Geschäft, hinein in den dichten Smog der unwirtlichen Straßenzüge dieser gottlosen Stadt. Wütend und hilflos ging ich ein Paar Schritte ehe sich all mein Frust in einem tiefen Schrei der Verzweiflung entfesselte. Die Whiskyflasche knallte zu Boden und schleuderte ihre Bruchstücke dabei in alle Richtungen.
Ein besonders bösartig aussehendes Stückchen Glas weckte meine Aufmerksamkeit. Es war scharf wie eine Rasierklinge und in etwa so groß wie ein Finger. Ich hob es auf und wurde davon überrascht wie angenehm es in der Hand lag. Mein Blick wendete sich zurück zur Apotheke, die Scherbe in meiner Hand hin- und her bewegend. Womöglich ein Geschenk des Universums? Ein Zeichen?
Ich könnte mir einfach nehmen, was ich wollte. Was Katy brauchte. Philipp ist ein Weichei, ein Angsthase. Er würde mich nicht aufhalten können – ach was, er würde es nicht einmal versuchen. Natürlich, die Wächter wären hinter mir her, aber wer hier unten aufgewachsen ist versteht es sich unauffällig in den Schatten zu bewegen. Es würde nicht ewig gutgehen, doch vermutlich lang genug, dass Katy auf die Medikamente nicht mehr angewiesen wäre.
Ich machte einen wuchtigen Schritt Richtung Tür. Katy ist das stärkste Mädchen, das ich kenne. Sie wird auch ohne mich klarkommen. Ein weiterer Schritt. Die Overlords werden mit ihrer Gier und ihren Regeln ihr Leben nicht verschwenden! Noch ein Schritt. Obwohl … Ich blieb stehen. Mir kamen die Geschichten über Waisenhäuser dieser Gegend in den Sinn. Schreckliche Geschichten. Ich ging einen Schritt zurück. Dann noch Einen, und noch Einen. Als die erste Träne über meine Wange lief, sackte ich kraftlos zu Boden. Ich kann nicht sagen wie lange ich da saß. Es könnten Sekunden, Minuten oder Stunden gewesen sein. Als ich langsam wieder begann die Welt um mich herum wahrzunehmen und mit jedem Blinzeln und verschwommenen Blicken schrittchenweise zurück in die Realität fand, entdeckte ich eine Notiz mit einer Adresse in meiner Hand. Jemand musste sie mir zugesteckt haben.
Sie führte mich zu einem heruntergekommenen Lagerhaus am Rande der Stadt. Ein Paradies für Kleinkriminelle. Und Ratten. Gehörte ich nun also hier hin? Am fernen Ende der Halle war Licht zu erkennen. „Hallo? Ist hier Jemand?“ hallte meine Stimme hinein, als plötzlich das schmutzverschmierte Gesicht eines vom Leben in den Slums gezeichneten Mannes aus dem Dunkel hervor kam. „Was willst du hier?“ grantelte er. „Ich…Jemand hat mir die Adresse gegeben. Ich bin auf der Suche nach…“ stammelte ich, unsicher wie ich das Grinsen des Mannes zu deuten hatte. „Nun dann, komm rein, komm rein mein Freund.“. Er ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass es sich dabei nicht um ein freundliches Angebot handelte und schmetterte die Tür hinter mir zu. Ich nahm einen tiefen Zug von der stickigen, feuchten Luft und folgte dem Mann durch ein Labyrinth aus Kisten, Maschinenteilen und sonstigem Schrott, bis irgendwann zwei eigentümlich floral bemusterte Ohrensessel und ein kleiner Holztisch in meinen Blick fielen. Surrealer könnte ein Ort kaum wirken. „Sei nicht scheu, setz dich, setz dich!“ gestikulierte der Mann, dessen Grinsen ihm die ganze Zeit über nicht zu vergehen schien.
„Ich bin Boznan, aber Alle nennen mich nur Boz.“ stellte er sich vor. „Wie heißt du denn?“
„Ben.“ – „Ben wer?“
„Ben Wilson“ – „So so, Ben Wilson.“ Boz lehnte sich so nah an mich heran, dass ich seinen muffigen Atem spüren konnte. „Erzähl mir von dir, hast du Familie? ich bekomme nicht viel Besuch.“
„Eine Tochter, Katy“
Boznans Grinsen wurde noch breiter. „Ohh eine Tochter, wie schön. Wie alt ist sie?“
„Sechs“
„Und Ihre Mutter? Ist sie gerade bei ihr, während du hier in den Tiefen der Stadt herumwanderst? Was machst du hier? Als was arbeitest du? Ernährst du dich gesund? Du siehst … krank aus.“
Aus Erfahrung weiß ich, dass man meinem Gesicht vermutlich ansah, dass ich von den vielen Fragen genervt war. Ich hatte immer gedacht dass Menschen, die sich im Untergrund aufhalten, Geheimhaltung und Privatssphäre schätzen würden. „Ihre Mutter ist tot, okay? Und ich arbeite in einer Proteinfabrik am anderen Ender der Stadt. Und nein, ich hatte heute auuusnahmsweise noch keine Vorspeisenplatte mit frischem Gemüse, Fisch und Käse! Was denkst du denn?! Und was sollen die ganzen Fragen?“ schnauzte ich bissig.
„Woohoh ruhig Tiger! Aber gut, guuut. Die Temperamentvollen machen mir immer am meisten Freude. Ich will meine zukünftigen Kunden einfach ein wenig kennenlernen. Jeder, der seine Füße in diese Halle setzt ist verzweifelt. Es gilt nur noch herauszufinden, wie verzweifelt DU bist. Also, warum bist du wirklich hier?“
„Ich brauche Medikamente für meine Tochter.“
„Aha, ohhkay – sieht das hier für dich aus wie eine Apotheke?“
Ich schüttelte den Kopf „Nein, natürlich nicht. Aber …“
Boz unterbrach mich mit der Vorliebe für das Zurückhalten von Information, die ich zu Beginn unserer Unterhaltung noch schmerzlichst vermisst hatte: „Ich verstehe. Mehr muss ich nicht wissen. 0,5 Einheiten und die Medis gehören dir.“ – „Deal!“, überlegte ich keine Sekunde lang. Für Katy war mir kein Preis zu hoch.
Boz rieb sich die Hände: „Wuuundervoll! Ich sag dir was‘ – weil wir uns so gut verstehen -“ leitete er ein, während er eine verkratzte, alte Blechdose aus einem verbeulten Ölfass heraus kramte: „- gibt’s noch einen kleinen Bonus obendrauf! Hier…nimm…na nimm schon!“ hielt er mir die Dose wohlwollend unter die Nase. Sie war bis oben hin gefüllt mit überraschend lecker aussehenden Cookies. Die Guten. Mit Schokoladenstückchen. „Nun niiimm schon Einen, der wird helfen! Ich hab‘ Eisenpulver eingebacken. Das stärkt dein Blut.“ Nun gut, was soll’s. Ich nahm einen Keks – und Ehre wem Ehre gebührt, der urige Schrottsammler verstand es hervorragende Cookies zu backen. „Ohhhkay na dann, prima! Dann husch ich mal schnell los die Spritze holen. Nicht weglaufen…“ rief mir Boz noch mit seinem eingebrannten Grinsen über seine Schulter zu, bevor er in der Dunkelheit der Lagerhalle verschwand.
Es dauerte länger als ich es zugeben möchte um bemerken, dass neben dem Ölfass mehrere Fläschchen unterschiedlicher Medikamente standen und direkt daneben eine kleine Kiste, randvoll mit Spritzen. Boz kann die doch unmöglich übersehen haben? Wo war er überhaupt so lange? Ich versuchte aufzustehen, um einen genaueren Blick auf die Gläschen zu werfen, doch meine Beine bewegten sich keinen Millimeter. Ich probierte es erneut, doch so sehr ich es auch versuchte, ich konnte meine Gliedmaßen kaum noch spüren – geschweige denn bewegen. Ich versuchte mich irgendwie mit meinen Unterarmen am Stuhl hoch zu ziehen, nur um krachend auf den Boden zu fallen, als meine Beine dem Gewicht meines Kröpers wie Gummibänder nachgaben. Ein irres Kichern hallte durch das Gebäude, als Boznan hinter einer der Kisten hervorkroch. Sein Lächeln war zu einem breiten Lachen angewachsen.
„Was hast du mit mir gemacht?!“ schäumte ich vor Wut. „Unterkörperlähmung. Macht dich ein bisschen gefügiger.“…“Der Cookie…“. Boznan nickte: „Jap, schlaues Bürschchen, der Cookie. Dachtest du ernsthaft ich könnte mir eine so herrliche Bleibe leisten, indem ich traurigen Figuren wie dir für ein Paar mickrige Einheiten Medikamente verticke? Du warst nieee mein Kunde Ben Wilson. Du warst von Anfang an die Ware!“.
Mir wurde übel. Die toxische Mischung aus Schock, Hilflosigkeit und den Drogen ließ meinen Körper wie versteinert wirken. „Ei ei ei du wirst mir eine Meeenge Einheiten bringen Ben Wilson, eine Meenge!“ schaffte Boznan es doch tatsächlich sein ohnehin schon krankhaft breites Grinsen noch größer werden zu lassen. „Weißt du Ben Wilson, jetzt kann ich’s dir ja sagen – wo du grade so interessiert zuhörst. Manche Overlords hängen diese pampigen Proteinrationen zum Halse raus. Sie sehnen sich nach einem etwas…sagen wir…organischerem Geschmackserlebnis! So schön saaaftig und zart, wie sie es von früher kennen, als es noch Tiere gab.“
„Damit wirst du nicht durchkommen!“ stammelte ich eine leere Drohung, die sich in meinem Kopf deutlich beeindruckender angehört hatte, als sie letztlich aus meinem paralysierten Mund herauskam. „Oh aber doch, das werde ich. Wer soll denn plötzlich auftauchen und DICH retten Ben Wilson? Die kleine Katy etwa? Nein, nein, nein. Mein Kunde wird sich nehmen, was ihm behagt und ich werde den kümmerlichen, ausgetrockneten Rest von dir in irgendeinen schmutzigen Slum der Unterwelt werfen, wo du für die Behörden nur ein weiteres tragisches Schicksal sein wirst, für das man zwar nette Worte finden – aber keine Mühe aufbringen wird. Schnell wird sich Niemand mehr daran erinnern, dass es dich je gegeben hat, Ben Wilson.
Boznan zog mich zurück auf den Stuhl. Ich blickte ihm direkt in die Augen. „Bitte tu das nicht! Katy braucht mich, ich bin Alles, was ihr noch bleibt.“ – „Mach dir keine Sorgen Ben Wilson. Ohne die Medikamente wird eure Trennung nur von kurzer Dauer sein.“ erwiderte mir Boznan mit eisigem Blick. Mit einem lauten Aufschrei versuchte ich ihn mit geballter Faust zu treffen. Doch waren die Bewegungen meines gelähmten Körpers zu langsam und Boznan wich dem Hieb ohne Mühen lachend aus, sodass meine Hand nicht sein Ziel, sondern meine eigene Hüfte traf. Ich spürte etwas hartes in meiner Hosentasche, etwas scharfes. Die Glasscherbe – mein Geschenk des Universums. Vorsichtig ließ ich meine Hand in die Hosentasche gleiten und umschloss den kalten Splitter. Ich war bereit ihn einzusetzen, diesmal wirklich. Boznan müsste nur noch einmal näher kommen.
„Ich habe dich falsch eingeschätzt.“ warf ich ihm mit direktem Augenkontakt zu. „Ohh den Eindruck habe ich auch, ja.“ erwiderte er erheitert. „Ich dachte du wärst ein Mann von Welt. Ein Geschäftsmann mit einer Vision. Aber offenbar bist du nur ein pseudo-fancy Fastfood-Dealer für perverse Corpo-Richkids.“. Zum ersten Mal schien sich Boznans Miene in ein Knurren zu verwandeln. Mit leicht rotem Gesicht lehne er sich nach vorne und flüsterte mir angewidert ins Ohr: „Du ignorantes Stück Scheiße!“. Das war meine Chance. Ich schlug mit der Glasscherbe in Richtung Boznans Hals aus. Ein dünner roter Streifen, aus dem zunächst langsam und dann immer schneller, immer mehr Blut strömte, war der Beweis, dass sich der blitzschnelle, tödliche Cut dieses Mal nicht nur in meinem Kopf abgespielt hatte. Boznan öffnete seinen Mund – vermutlich im kläglichen Versuch mir irgendeine schmutzige Beleidigung entgegen zu brüllen. Doch waren nur ein seltsam andersweltliches Gurgeln und Röcheln zu hören, die auf makabere Weise angenehm von dem Geräusch ablenkte, welches das aus der Schnittwunde herausströmende Blut auf dem Weg in eine immer größer werdende Lache auf dem Boden der Lagerhalle machte. Sekunden später ging Boznan leblos zu Boden. Regungslos, bleich und blutüberströmt lag er da, direkt vor meinen Füßen. Von jeglicher Lebensenergie beraubt, konnte man selbst jetzt noch ein leichtes grinsen in seinem ansonsten ausdruckslosen Gesicht ablesen.
Ich war erleichtert. Doch ich wusste auch, dass ich noch nicht in Sicherheit war. Ich würde noch entkommen müssen. Ich versuchte mich erneut mit aller Kraft gegen die Cookie-induzierte Lähmung zu wehren – ohne Erfolg. Zu stark wirkte das Toxin. Meine einzige Chance, wurde mir klar, würde sein mich mit der Kraft meiner Arme allein über den schmutzigen, kalten, blutnassen Boden durch das düstere Labyrinth der Lagerhalle in Freiheit zu robben. Ich kam nicht weit, da hallte eine rauchige Männerstimme aus dem Dunkel vor mir: „Ahahaha ohh, was haben wir denn hier?“
Eine opulente, gut gekleidete Gestalt trat aus dem Schatten hervor. Es hatte eine absurde Eleganz, wie er sich in seinem maßgeschneiderten Anzug und polierten Schuhen, in der Blutlache stehend, über den leblosen Körper vor mir beugte. Das Fehlen jeglicher Abscheu in seiner Haltung und der seltsam interessierte Ausdruck in seinem papierglatten Gesicht ließen keine Zweifel daran aufkommen, dass Situationen wie Diese vermutlich eher Regel als Ausnahme für ihn sind. Mir gefror erneut das Blut in meinen Adern. Das letzte Bisschen, was noch übrig war.
„Wie ich sehe, hast du Boz getötet.“ stellte der Mann gefasst und mit leicht beeindrucktem Unterton in meine Richtung fest. „Ich hatte keine andere Wahl.“ stammelte ich, als hätte ich wirklich daran geglaubt, es würde eine Rolle spielen. „Ja, der Gedanke kam mir bereits. Wie dem auch sei, mir scheint, ich bin dir zu Dank verpflichtet.“ überraschte mich der Mann. Ich rang um Worte, unsicher über die Richtung, die dieses Gespräch noch nehmen würde, als der Mann die Stille unterbrach: „Boz ist sich für meinen…Geschmack…in letzter Zeit etwas zu sicher geworden. Vermutlich wäre es ohnehin darauf hinausgelaufen, dass wir unsere Geschäftsbeziehung hätten, beenden müssen. Du verstehst? So ist das natürlich sehr viel praktischer. Und weniger anstrengend. Allerdings -“ hielt er kurz inne: „- bleibt noch die Frage, was wir denn nun mit dir anstellen sollen? Wie heißt du, mein kleiner, blutiger, gelähmter Freund?“
Zu verängstigt und kraftlos, um irgendetwas zu hinterfragen, antwortete ich mit überraschend ruhiger Stimme, die fast einem Flüstern glich: „Ben. Ben Wilson.“
Der Mann lächelte: „Nun, Mr. Wilson. Nachdem Sie ja nun vorgeprescht sind und mich um meinen treuen, wenn auch zugegebener Maßen etwas schrägen, Mitarbeiter entledigt haben, ist eine Stelle vakant. Und Sie sind der einzige Bewerber. Herzlichen Glückwunsch Mr. Wilson, sie haben den Job!“ klatschte der Mann freudig in die Hände, ein breites Lächeln im Gesicht.
Zwei Wochen später
Als ich die Apotheke betrat begrüßte mich Philipp erfreut mit einem freundschaftlichen Winken: „Hey Ben, Mann, schön dich zu sehen! Gut siehst du aus – wie geht’s Katy?“
Ich erwiderte die freundschaftliche Geste: „Es geht ihr gut, danke. Ein Freund konnte helfen.“
Philipp wusste nicht so recht was er mit der Andeutung anfangen sollte und zog die Augenbrauen verwundert nach oben: „Oh, das ist toll, Ben. Es muss ein sehr großzügiger Freund gewesen sein.“
Ich lachte: „Haha, glaub mir, er kann es sich leisten…Oh wegen Letztens, ich habe dich da in eine unangenehme Situation gebracht, das tut mir Leid. Ich war nicht ich selbst.“
Philipp schüttelte den Kopf und winkte ab: „Ach Ben, mach dir keinen Kopf. Du hast versucht deine Tochter zu beschützen, ich versteh‘ das. Freut mich, dass es ihr besser geht.“
„Doch doch, ich möchte das nicht so stehen lassen.“ unterbrach ich Philipp. „Ich habe dir auch eine kleine Aufmerksamkeit mitgebracht.“. Ich öffnete eine kleine Papiertüte und stellte sie auf Philipps Tresen: „Wie wär’s mit einem Cookie?“